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Fluchtweg Mittelmeer: Masterstudierende und FHWS-Professorin beschäftigen sich mit globalen Migrationsbewegungen

14.10.2022 | thws.de, Pressemeldung, FAS
Wie kann ein neues politisch-ethisches Vorbild geschaffen und die Politik der Abschreckung verändert werden?

Globale Migrationsbewegungen erforschen: Masterstudierende der FHWS und Prof. Dr. Tanja Kleibl von der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften engagieren sich in der menschenrechtsbasierten Sozialarbeitsforschung. Während einer Summer School auf der griechischen Insel Lesbos konnten sie die dortigen Zustände mit eigenen Augen sehen und beurteilen.

Zum Hintergrund: Am 6. Oktober 2022 haben etwa vierzig Menschen hauptsächlich Frauen aus afrikanischen Ländern einen Albtraum an der Ägäisküste erlebt: Ihr Boot kenterte am Ende einer stürmischen Nacht etwa 15 Kilometer vor Mytilene, dem Hauptort der griechischen Insel Lesbos. Bisher sei bekannt, so Kleibl, dass etwa 17 Menschen ums Leben gekommen seien. Neun Personen wurden gerettet, nach den Leichen der übrigen Personen oder Überlebenden werde noch gesucht. Was dort geschah, sei kein Einzelfall, so erläutert die Wissenschaftlerin. Nach Angaben der griechischen Küstenwache starben einen Tag zuvor bei einem ähnlichen Vorfall in Kythira zehn Menschen. Diese Situation sei einmal mehr das Ergebnis der europäischen Migrationspolitik, die Menschen dazu zwinge, gefährliche und oft tödliche Migrationsrouten zu wählen. Die ständige Bewegung von Zwangsmigrant*innen in Richtung des europäischen Kontinents zeige auch die Folgen der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten sowie der ausbeuterischen Praktiken vieler multinationaler Konzerne gegenüber den Herkunftsländern der Flüchtlinge aus dem globalen Süden auf.

Im Rahmen eines internationalen Symposiums und einer menschenrechtsbasierten Sozialarbeitsforschung, die sich mit der politischen Positionierung von Nichtregierungsorganisationen und humanitären Helferinnen sowie Helfern beschäftigt, waren Prof. Tanja Kleibl von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS), Prof. Nikos Xypolytas (Kooperationspartner der University of the Aegean), Dr. Maria do Carmo Gonçalves (Direktorin des Scalabrinian Centre of Migratory Studies, Brasilien) und Prof. Ndangwa Noyoo (University of Cape Town, Südafrika) mit zehn Studierenden des FHWS-Masterstudiengangs „Internationale Sozialarbeit mit Geflüchteten und Migrant*innen" (MRM) vom 26. September bis 9. Oktober 2022 auf der griechischen Insel Lesbos. Die FHWS Summer School ist in den oben genannten Masterstudiengang integriert und wird vom Netzwerk „Migration und sozialer Wandel" gefördert, welches sich mit Süd-Süd-Migration und einer südlichen Perspektive auf globale Migrationsbewegungen beschäftigt.

Laut dem „Ägäischen Bootsbericht“ (Aegean Boat Report) starteten im Zeitraum vom 26. September bis zum 2. Oktober 2022 59 Boote mit 1.454 Personen an Bord in Richtung der griechischen Ägäisinseln. 47 Boote wurden gestoppt bzw. zurückgeschoben, und nur 218 Personen wurden auf den griechischen Inseln registriert. In diesem Jahr haben die türkische Küstenwache und Polizei bisher 1.197 Boote mit 39.742 Menschen an Bord identifiziert oder aufgegriffen. In diesem Zusammenhang wurden nur 6.632 Menschen registriert, die auf 285 Booten auf den griechischen Inseln angekommen sind. Nach Aussage aller Militärnachrichtendienste (National Reconnaissance Offices NRO), mit denen die Kooperationspartner in Mytilene gesprochen haben, hätte diese Zahl viel höher sein müssen. Aufgrund der Zurückdrängung durch die Küstenwache werden die meisten Menschen, die eine sichere Überfahrt in die EU und Asyl in der Europäischen Union suchen, unsichtbar oder nicht zählbar gemacht, so Kleibl.

Umgeben von einem Massengrab und einer geschlossenen Lagereinrichtung seien die Menschen auf Lesbos geteilter Meinung über diese Vorfälle, die für die Teilnehmenden der Summer School eine sich verschlimmernde entmenschlichende Situation darstellen. Einige Menschen auf Lesbos würden sich rechtsextremen Gruppen anschließen, die 2018 zu einem Pogrom gegen Geflüchtete im Zusammenhang mit dem inzwischen niedergebrannten Lager Moria geführt hatten. In der Folge wurden Dutzende von Menschen, die auf der Flucht waren, verletzt. Der Prozess gegen einige der Mitglieder der rechten Gruppe hätte während der Summer School Anfang Oktober 2022 stattfinden sollen, doch er wurde auf Mai 2023 verschoben. Das sei, so Kleibl, kein gutes Zeichen, wenn es um den Schutz von Geflüchteten innerhalb des griechischen Rechtssystems gehe.

Nachdem die Professorin mit den Masterstudierenden sich am 6. Oktober vor dem Tribunal versammelten, seien einige von ihnen wortlos über die Dinge, die sie beobachtet und von den Ereignissen mitbekommen hätten. Sie fragten sich, was noch alles passieren könne, wie viele offensichtliche Widersprüche die Europäische Union verbergen könne, wie viele Menschen auf der Flucht ihr Leben aufgrund von Rassismus und postkolonialer struktureller Gewalt verlieren werden. Kleibl: „Wir sind zutiefst solidarisch mit denjenigen, die gezwungen sind, ihre Heimat und ihre geliebten Familien zu verlassen und ihr Leben an der Grenze eines Kontinents zu verlieren, der nach Jahrzehnten des Kolonialismus keine gemeinsame Basis der Menschlichkeit gefunden hat.“

Kontakt: Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften

Prof. Dr. Tanja Kleibl

Social Work, Migration and Diversity

Studiengangsleitung Masterstudiengang "International Social Work with Refugees and Migrants"

Tiepolostr. 6

97070 Würzburg

tanja.kleibl[at]fhws.de

0931-3511-8225