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Inklusion und soziale Angebote: THWS-Studierende informierten sich über die Angebote in Brixen

17.01.2023 | thws.de, Pressemeldung, FAS
Praktische Integrationsarbeit in Südtiroler Einrichtungen

Parallelen und Unterschiede in Sozial- und Leistungssystemen in Deutschland und Südtirol: Eine Studierendengruppe der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) besuchte die italienische Gemeinde Brixen und informierte sich über die Inklusionsaktivitäten der Stadt. Brixen und die Autonome Provinz Bozen-Südtirol sind für die Soziale Arbeit interessant, weil das dortige Sozial- und Leistungssystem dem deutschen bzw. bayerischen sehr ähnlich sind, sich auf der anderen Seite z. B. mit den Sozialgenossenschaften und der starken schulischen Inklusion wiederum stark unterscheiden. Um die Situation in Brixen und Südtirol genauer kennenzulernen, führte der Studienschwerpunkt Soziale Arbeit und Behinderung im Bachelor Soziale Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Kulke eine Exkursion nach Brixen durch. Während des Aufenthalts dort machten sich die Studierenden mit ihrem Studienleiter ein Bild von der praktischen Inklusionsarbeit. Sie besichtigten u. a. Sozialeinrichtungen wie das Kinderdorf, das Haus der Solidarität, die „Organisation für Eine solidarische Welt“ (OEW), den Vintlerhof, das Sozialzentrum Seeburgund die Stadt Brixen.

Den Auftakt bildete der Besuch mit einem Expertengespräch im Südtiroler Kinderdorf: Direktor Karl Brunner und Direktionsassistent Andreas Edinger stellten die Organisation vor und führten die Studierenden anschließend durch das Gelände. Das Südtiroler Kinderdorf wurde im Jahre 1955 gegründet, um Kindern und Jugendlichen, deren Sicherheit in ihren Ursprungsfamilien aus verschiedenen Gründen nicht mehr gewährt werden kann, Schutz zu bieten. Inzwischen gibt es über die Kinderwohngruppen und Jugendwohngemeinschaften hinaus ein Betreutes Wohnen, mobile Familienarbeit zur Beratung und Unterstützung von Eltern, das Haus Rainegg für alleinerziehende Frauen, ein ambulantes Therapie Center mit kinder- und jugendpsychiatrischen Angeboten sowie Therapiemöglichkeiten und weitere Projekte. Im Fokus stehen hierbei die Stabilisierung und individuelle Förderung der Menschen.

Das Haus der Solidarität erlangte durch den gleichnamigen Dokumentarfilm von 2017 internationale Aufmerksamkeit. Es existiert seit 2002 und bietet erwachsenen Menschen in Not und mit unterschiedlichen Problemlagen Unterkunft und Unterstützung. Dabei sind die Bewohnerinnen und Bewohner überwiegend erwerbstätig. In der Einrichtung haben Werte wie Solidarität, Integration und Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert. Die Studierenden erhielten eine Führung durch das Haus der Solidarität. Anschließend wurde der Name des „Hauses der Solidarität“ mit einem Mitglied des kollektiven Leitungsteams diskutiert: Die Studierenden haben sich mit dem Begriff der „Solidarität“ auseinandergesetzt – auch, wenn „Solidarität“ fast schon zu einer Leerformel, einem Buzzword geworden sei, so die Studierenden, könne der Begriff z. B. als „solidarische Professionalität“ immer wieder Anregungen zur Positionierung im Tripelmandat der Sozialen Arbeit geben. (Mit dem Tripelmandat, so das „socialnet Lexikon“, „wird zum Ausdruck gebracht, dass sich Soziale Arbeit nicht nur zwischen den Ansprüchen von Staat und Klient*in, also Kontrolle und Hilfe, bewegt, was mit dem Doppelmandat erörtert wird, sondern sich auch auf ihre eigene Fachlichkeit als Profession beziehen und berufen muss.“)

Eine besondere Einrichtung, so Kulke, sei die Soziale Landwirtschaft des bio-zertifizierten Vintlerhofs: In der Einrichtung lernen Menschen in schwierigen Lebenssituationen durch Arbeitsintegrationsprojekte die Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sie brauchen, um auf dem sogenannten „ersten Arbeitsmarkt“ (Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse ohne weitere Fördermaßnahmen) bestehen zu können. Es handelt sich dabei um Menschen mit psychischen Problemen oder Suchtproblematik, Haftentlassene oder Menschen, die sich in haftalternativen Maßnahmen befinden, Flüchtlinge oder Geflüchtete, die auf die Anerkennung ihres Status warten, Frauen, die aus Gewaltsituationen geflohen sind, oder Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen, die in der Landwirtschaft tätig sind.

Auch ein Besuch der Fakultät für Bildungswissenschaften auf dem Campus Brixen der Freien Universität Bozen stand auf dem Programm. In einer Lehrveranstaltung mit Südtiroler Studierenden und denen des Vertiefungsbereichs Soziale Arbeit und Behinderung gaben Prof. Dr. Kulke und Tobias Kindler einen Überblick über politische Soziale Arbeit. Sie stellten darüber hinaus eigene Forschungsergebnisse vor. An der Fakultät für Bildungswissenschaften können sowohl Soziale Arbeit, als auch Sozialpädagogik als je eigene Fächer studiert werden. Unterrichtet wird in den Sprachen Englisch, Italienisch und Deutsch.

Wie auch in Deutschland spielt die politische Gemeinde eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der sozialen Lebensverhältnisse vor Ort. Die Stadträtin Dr. Monika Leitner stellte den Studierenden mit Prof. Dr. Dieter Kulke das Modell der inklusiven Stadt Brixen vor: In der Südtiroler Stadt engagieren sich drei Arbeitsgruppen im Abbau von Barrieren. Während die Arbeitsgruppe „Menschen mit Behinderung“ die Umsetzung der EU-Menschenrechtskonvention auf Gemeindeebene betrachtet, konzentriert der Beirat für Integration Menschen mit Migrationshintergrund in einer Interessensgruppe. Die dritte AG, die Kommission für Chancengleichheit, tritt für die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen ein. Die drei Teams haben das Ziel, physische und psychische Barrieren im Gemeindegebiet und in der Gesellschaft abzubauen. So wird z. B. die Arbeitsgruppe „Menschen mit Behinderung“ bei kommunalen Bauvorhaben im Hinblick auf Barrierefreiheit konsultiert.

Die Studierenden der Sozialen Arbeit, die sich im 7. Semester befinden und sich im Vertiefungsbereich Soziale Arbeit und Behinderung spezialisieren, interessierten sich für die politische Dimension der sozialen Arbeit und die Förderformen für die verschiedenen Einrichtungen in der Sozialarbeit sowie in der Behindertenhilfe. Die Arbeit der Gemeindeverwaltung wurde ebenso angesprochen wie die Vorgehensweise der verschiedenen Arbeitsgruppen. Vorbildlich sei, so Kulke, dass Betroffene in den Arbeitsgruppen direkt an die Gemeindeverwaltung herantreten und Vorschläge für Optimierungen unterbreiten könnten.

Und schließlich spielt der Blick zurück auf die Wurzeln Sozialer Arbeit eine Rolle. Im Brixener Dom und dem Domkreuzgang begab sich die Gruppe auf Spurensuche nach Darstellungen christlicher Quellen Sozialer Arbeit – und wurde fündig: Im Kreuzgang befinden sich Fresken mit der Darstellung der sieben Werke der Barmherzigkeit nach der katechetischen Tradition. Diese, so die Studierenden, seien: die Hungernden zu speisen, den Dürstenden zu trinken zu geben, die Nackten zu bekleiden, die Fremden aufzunehmen, die Kranken zu besuchen, die Gefangenen zu besuchen und Tote zu begraben. Die Werke der Barmherzigkeit gründen sich in der Identifikation mit den Notleidenden. Bei der modernen professionellen Sozialen Arbeit stehen Menschenrechte, Sozialstaat und soziale Rechte im Zentrum, stellten die Studierenden fest.