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„Nachhaltiges Europa: Die EZB als Kardinalfehler?"

04.11.2019 | thws.de, Pressemeldung, FWiWi
Bolsinger: von der Europäischen Zentralbank einfordern, dass Werte der europäischen Grundrechtscharta nicht verletzt werden

In der Tagung der Weltethos-Institut-Forschungsgruppe Wirtschaft und Finanzen in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) beleuchteten Finanzmarktexperten erstmals eingehend die ethische Dimension der EZB (Europäische Zentralbank) als Organ der Europäischen Union. Was bisher nur Fachleuten bekannt war: Die Europäische Kommission gestaltet die EZB ordnungspolitisch und sie ist dem Europäischen Parlament als Kontrollorgan rechenschaftspflichtig. Dadurch nimmt die EZB eine international unvergleichbare Sonderrolle unter den Zentralbanken ein.

Am 29. Oktober 2019 diskutierten die Experten zusammen mit dem Publikum unter Moderation von Gerhard Hofmann und Benedikt Hoffmann im Eisenhower-Saal der Goethe-Universität Frankfurt die Bindung der EZB an die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Johannes Hoffmann, Bernd Villhauer, Harald Bolsinger, Michael Schmidt, Christian & Marian Szidzek, Patrick Weltin und Susanne Bergius verdeutlichten anhand der wichtigsten Perspektiven die geldpolitische Freiheit und die ordnungspolitischen Grenzen von Europas Zentralbank. Es wurde deutlich, dass geldpolitische Unabhängigkeit für die EZB kein Freibrief zur Missachtung von Grundrechten sein kann.

Professor Dr. Johannes Hoffmann, Goethe-Universität und Gründer der inzwischen am Weltethos-Institut angesiedelten früheren Forschungsgruppe Ethisch Ökologisches Rating, zeigte die Entwicklung nachhaltiger Finanzmärkte in Europa auf. Im Beitrag von Dr. Bernd Villhauer, Geschäftsführer des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen, wurden sittliche Anforderungen an die EZB jenseits der Geldpolitik erläutert. Der Würzburger Wirtschaftsethiker Professor Dr. Harald Bolsinger von der FHWS gab Einblicke in die Relevanz von Grundrechten im Kerngeschäft der EZB und berichtete von Erfahrungen mit einer einschlägigen EU-Petition 429/2017 (Petition).

Bolsinger: „Es ist überfällig, die EZB zur Berücksichtigung europäischer Werte in ihrem Finanzierungsgebaren zu bewegen. Vor allem von der Europäischen Zentralbank müssen wir erwarten können, dass zumindest die Werte der europäische Grundrechtscharta in ihrem Kerngeschäft nicht verletzt werden.“ Auf dem Weg zu einem nachhaltigen europäischen Finanzsystem müsse die Achtung von Grundrechten im Geschäftsgebaren der EZB am Beginn aller Initiativen stehen: „Wenn sich die EZB als Vorbild im Rahmen der ohnehin für Sie verpflichtenden Grundrechtscharta bewegt, strahlt das auf alle Finanzmarktakteure ab. Tut sie es nicht, sind alle anderen politischen Initiativen für ein nachhaltigeres Finanzsystem Makulatur!“

Michael Schmidt, Chief Investment Officer (CIO) der Lloyd Fonds AG, bezeichnete dann anhand der Erfolge der EZB die Sicherung der Preisstabilität als höchstes Gut, wozu die Unabhängigkeit der EZB zwingend nötig sei. Die Sustainable Finance High Level Expert Group der EU-Kommission hätte keinerlei Empfehlung zum Zentralbankverhalten abgegeben, da die EZB eben unabhängig sei und deshalb Empfehlungen in diese Richtung nicht gefragt waren und auch nicht umsetzbar wären. Die Würzburger Rechtsanwälte Dr. jur. Christian Szidzek und Marian Szidzek widersprachen dem vehement und belegten die Pflicht der EZB, Grundrechte auch in ihrem Geschäftsgebaren als EU-Organ zu beachten. Sie zeigten Optionen für juristische Schritte auf, wie die EZB dazu bewegt werden kann, ihrer Pflicht nachzukommen. Patrick Weltin, Bankenanalyst bei imug rating, warf einen Blick auf die stark verbesserungswürdige Nachhaltigkeit der EZB im Kerngeschäft, und Susanne Bergius vom Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investments erläuterte positive Beispiele fortschrittlicher Zentralbanken in Europa auf dem Weg zu Implementierung von Nachhaltigkeit in ihrem Kerngeschäft. Nach einer Diskussion mit den Experten und dem Publikum schloss Professor Dr. Johannes Hoffmann mit einem Appell, den gültigen ordnungspolitischen Rahmen der EZB hinsichtlich ihrer Grundrechtsverpflichtung zur Anwendung zu bringen.

Am 11. November 2019, 15 Uhr steht die EU-Petition 429/2017 in Brüssel erneut auf der Agenda des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments.

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